Warum Stärken im Team entscheidend sind

In vielen Organisationen wird noch immer der Blick zuerst auf Schwächen gerichtet: Was funktioniert nicht? Wo gibt es Defizite? Diese Haltung führt schnell zu einem Klima von Kontrolle und Kritik. Dabei zeigt die Forschung seit Jahren, dass das Gegenteil produktiver ist: Wenn Mitarbeitende ihre Stärken kennen und einsetzen können, sind sie motivierter, leistungsfähiger und zufriedener.

Für Teams bedeutet das: Wer die individuellen Stärken seiner Mitglieder versteht, kann Aufgaben sinnvoller verteilen, Potenziale nutzen und Unterschiede nicht als Problem, sondern als Ergänzung wahrnehmen. Statt sich gegenseitig auszubremsen, kann ein Team dadurch in einen Flow kommen.

Was sind Stärken?

„Stärken“ klingt zunächst nach etwas Selbstverständlichem – aber es gibt viele Missverständnisse. Oft werden Talente, Fähigkeiten oder Kompetenzen mit Stärken gleichgesetzt. Doch Stärken sind mehr als nur etwas, das man gut kann.

Eine Stärke ist eine Eigenschaft, die sich stimmig anfühlt, Energie gibt und einen Menschen lebendig macht. Manchmal sind das Dinge, die nach außen gar nicht spektakulär wirken – etwa die Fähigkeit, anderen geduldig zuzuhören, oder ein verlässlicher Sinn für Humor.

Laut dem Psychologen Ryan Niemiec sind Stärken „positive Eigenschaften oder Fähigkeiten, die persönlich erfüllend sind, andere nicht schmälern, allgegenwärtig und kulturübergreifend geschätzt werden und zu zahlreichen positiven Ergebnissen für sich selbst und andere führen“. Dabei sind Signaturstärken besonders bedeutsam, da sie zentral für das Wesen eines Menschen sind und deren Nutzung Spaß macht und energetisierend wirkt. Jeder Mensch besitzt drei bis sieben Signaturstärken.

Die Entwicklung eines positiven Fokus

Lange Zeit konzentrierte sich die Psychologie stärker auf das, was Menschen fehlt oder belastet. Erst mit dem Aufkommen der Positiven Psychologie Anfang der 2000er rückte eine neue Perspektive ins Zentrum: Welche Stärken tragen dazu bei, dass Menschen aufblühen können? In diesem Kontext entstand das VIA-Modell. Es bündelt 24 Charakterstärken in sechs Tugenden, die als universell gültig gelten.

Modelle und Konzepte – ein Blick auf den VIA-Test

Es gibt verschiedene Frameworks, die helfen, Stärken sichtbar zu machen – zum Beispiel den Gallup StrengthsFinder oder das CliftonStrengths-Modell. Eines der frei zugänglichen Modelle ist das VIA-Stärkenmodell.

Der VIA-Persönlichkeitstest

Der Test wurde entwickelt, um Menschen einen wissenschaftlich fundierten Zugang zu ihren Stärken zu ermöglichen. Er erfasst 24 Charakterstärken, die in 6 Tugenden eingeordnet werden. Das Besondere: Der Test ist kostenfrei an der Universität Zürich verfügbar. Die dort erhobenen Daten werden ausschließlich zu Forschungszwecken am Psychologischen Institut genutzt – seriös, transparent und ohne kommerziellen Haken.

Die Idee: Jede:r trägt alle 24 Stärken in sich, aber in unterschiedlicher Ausprägung. Manche werden ganz selbstverständlich gelebt, andere bleiben eher verborgen. Es geht nicht um Schubladen, sondern darum, ein persönliches Stärkenprofil zu entdecken

VIA Charakterstärken im Team nutzen

Die 6 Tugenden und ihre Stärken

TUGEND STÄRKE BESCHREIBUNG
Weisheit & Wissen Kreativität Neue Ideen entwickeln und ungewöhnliche Wege finden.
Neugier Offenheit für Erfahrungen und Interesse an der Welt.
Urteilsvermögen Dinge aus verschiedenen Perspektiven betrachten und kritisch abwägen.
Liebe zum Lernen Freude am Erwerb neuer Fähigkeiten oder Wissensbereiche.
Weisheit Wissen so einsetzen, dass es anderen hilft.
Mut Authentizität Eigene Werte vertreten und ehrlich handeln.
Tapferkeit Trotz Angst oder Widerstand für etwas einstehen.
Ausdauer Ziele beharrlich verfolgen und dranbleiben.
Enthusiasmus Mit Energie und Leidenschaft handeln.
Menschlichkeit Freundlichkeit Anderen Gutes tun, ohne etwas zurückzuerwarten.
Bindungsfähigkeit Enge, vertrauensvolle Beziehungen pflegen.
Soziale Intelligenz Emotionen bei sich und anderen wahrnehmen und damit umgehen.
Gerechtigkeit Fairness Alle Menschen gleich behandeln, unparteiisch entscheiden.
Führungsvermögen Eine Gruppe koordinieren und gemeinsame Ziele fördern.
Teamwork Verlässlich in einer Gruppe mitarbeiten und Verantwortung teilen.
Mäßigung Vergebungsbereitschaft Fehler verzeihen und nachsichtig sein.
Bescheidenheit Eigene Leistungen nicht übermäßig in den Vordergrund stellen.
Vorsicht Risiken abwägen und überlegte Entscheidungen treffen.
Selbstregulation Gefühle und Impulse bewusst steuern können.
Transzendenz Sinn für das Schöne Schönheit in Kunst, Natur oder Alltag wahrnehmen und schätzen.
Dankbarkeit Das Positive im Leben bewusst wahrnehmen und wertschätzen.
Hoffnung Auf eine gute Zukunft vertrauen und darauf hinarbeiten.
Humor Freude verbreiten und die heitere Seite des Lebens sehen.
Spiritualität Sich mit etwas Größerem verbunden fühlen und Sinn daraus ziehen.

Warum das Modell hilfreich ist

Das VIA-Modell gibt Teams eine gemeinsame Sprache für Stärken. Die sechs Tugenden helfen, Ordnung in die Vielfalt zu bringen. So wird sichtbar: Menschen sind unterschiedlich, aber diese Unterschiede lassen sich konstruktiv nutzen.

Stärken sichtbar machen: Inspiration für Teams

Der erste Schritt ist, Stärken ins Bewusstsein zu holen. Dabei geht es nicht darum, sofort einen Test zu machen oder aufwändige Workshops zu planen. Schon kleine Impulse können helfen:

  • Selbstreflexion: Jede:r schreibt drei Situationen auf, in denen er oder sie sich lebendig und im Flow gefühlt hat. Welche Stärken stecken dahinter?

  • Peer-Perspektive: Kolleg:innen tauschen Feedback dazu aus, was sie aneinander schätzen und wo sie besondere Qualitäten sehen.

  • Kreative Methoden: Ein Team-Canvas, Stärkenkarten oder gemeinsame Visualisierungen machen sichtbar, wer was einbringt.

  • Online Stärkentests: Tools wie der VIA-Test oder andere Online-Assessments können die Reflexion vertiefen.

Wichtig: Der Prozess lebt davon, dass Teammitglieder:innen ins Gespräch kommen und sich gegenseitig neue Sichtweisen eröffnen.

Bucht einen Stärken-Workshop für euer Team

Unser Stärken-Workshop setzt eure individuellen Stärken und Bedürfnisse ins Rampenlicht. Erfahrt, was euch wertvoll für das Team macht und lernt, eure Kolleg*innen besser zu verstehen. Spürt, wie sich die Teamdynamik im Laufe des Workshops stärkt und entdeckt, welche Rollen ihr für das Team einnehmt.

3 Übungen für das Entdecken Eurer Stärken im Team

Die Kenntnis und Nutzung der individuellen Stärken jedes Teammitglieds ist entscheidend für eine effektive Zusammenarbeit. Doch wie könnt ihr herausfinden, welche Fähigkeiten und Vorlieben eure Kolleg*innen haben? Die Kernstärken eurer Teammitglieder sind eine wertvolle Ressource für eure Zusammenarbeit. Sie können beispielsweise die Grundlage für die Verteilung von Aufgaben oder Rollen sein und euch bei konkreten Fragen und Herausforderungen unterstützen. Selbst für Feedbackgespräche und eure persönliche Potenzialentfaltung ist das Wissen über eure eigenen Kernstärken eine ausgezeichnete Grundlage.

Deine VIA-Stärken kennenlernen

Wenn ihr Lust habt, direkt einzusteigen, könnt ihr den VIA-Test als Ausgangspunkt nutzen.

1. Einzelarbeit
Jede:r führt den Test zunächst allein durch – am besten in einer ruhigen Arbeitsatmosphäre. So bekommt ihr ein erstes Bild davon, welche Stärken bei euch besonders ausgeprägt sind.

2. Im Team
Trefft euch anschließend als Gruppe. Druckt die Stärkenkarten aus oder erstellt digitale Varianten. Jede:r stellt die eigenen Top-Stärken vor – nicht als nackte Begriffe, sondern anhand von Beispielen oder Geschichten aus dem Alltag. So werden die abstrakten Worte lebendig.

3. Austausch & Klärung
Nutzt die Gelegenheit, um über Unterschiede, Überraschungen oder offene Fragen zu sprechen. Oft ist gerade der Dialog das Wertvollste: Ihr lernt nicht nur euch selbst, sondern auch die Perspektiven der anderen besser kennen.

→ Eigene Signaturstärken kennenlernen

Neben der reinen Testergeb­nis­liste lohnt es sich, die eigenen Stärken bewusst zu reflektieren. Denn nicht jede Stärke, die im VIA-Test weit oben landet, fühlt sich automatisch wie ein Teil der eigenen Identität an. Genau hier kommen die sogenannten Signaturstärken ins Spiel.

Signaturstärken sind jene Eigenschaften, bei denen ihr innerlich sofort spürt: „Ja, das bin wirklich ich.“ Sie sind ein Kernbestandteil eurer Persönlichkeit und geben euch das Gefühl von Authentizität und Stimmigkeit.

So könnt ihr eure Signaturstärken herausfiltern:

Jeder für sich (ca. 60 Minuten)

  1. Schaut euch eure Top 5–8 Stärken aus dem VIA-Test an.

  2. Lest die Beschreibungen der jeweiligen Charakterstärken aufmerksam durch. Markiert, was sich wesentlich oder typisch für euch anfühlt.

  3. Beantwortet zu jeder Stärke diese Fragen:

    • Was fällt dir ein, wenn du die Beschreibung liest?

    • In welchen Situationen ist dir diese Stärke schon begegnet – beruflich oder privat?

    • Welche Erlebnisse zeigen dir besonders klar: Das bin wirklich ich?

  4. Notiert eure Gedanken und macht anschließend eine kurze Pause.

  5. Schaut die Notizen noch einmal durch und wählt die Stärken aus, die euch am meisten „nach Hause kommen lassen“.

Das Ergebnis ist eine persönliche Auswahl von Stärken, die euch nicht nur beschreiben, sondern auch besonders viel Energie geben, wenn ihr sie lebt. Diese Signaturstärken sind ein wertvoller Ausgangspunkt – für Euch selbst und später auch für die Arbeit im Team.

→ Eure Teamstärken erkunden

Um als Team einen ersten Zugang zu euren gemeinsamen Stärken zu finden, könnt ihr mit drei Fragen arbeiten:

  • Vergangenheit: Worauf seid ihr in eurem Team besonders stolz?

  • Gegenwart: Was macht euch an der Zusammenarbeit gerade am meisten Spaß, was gibt euch Energie?

  • Zukunft: Worauf freut ihr euch am meisten, wenn ihr an eure kommenden Projekte denkt?

Ablauf (ca. 90 Minuten):

  1. Jede:r beantwortet die drei Fragen zunächst für sich.

  2. Im Anschluss teilt ihr eure Antworten in der Gruppe. Währenddessen achten die anderen darauf, Stärken herauszuhören und zu benennen („Spotting“).

  3. Die gespotteten Stärken werden auf Post-its notiert, am Whiteboard gesammelt und geclustert, wenn sich mehrere Beobachtungen wiederholen.

  4. Wiederholt diesen Prozess so lange, bis jede:r seine Geschichten geteilt hat.

  5. Betrachtet das entstandene Bild: Welche Stärken bringt ihr durch eure Vielfalt ins Team ein?

  6. Zum Abschluss fragt euch: Auf welche Top 4 Teamstärken möchtet ihr im nächsten Monat auf keinen Fall verzichten – und wie ausgeprägt sind diese bereits?

Stärkenbasiert arbeiten: Was das im Alltag bedeutet

Stärken zu kennen, ist das eine. Sie im Alltag einzusetzen, das andere. Hier ein paar Möglichkeiten, wie das gelingen kann:

  • Aufgabenverteilung: Wer übernimmt welche Rolle? Anstatt nach Position oder Gewohnheit zu verteilen, kann man sich an den individuellen Stärken orientieren.

  • Meetings: Moderator:in, Ideengeber:in, Strukturierer:in – jede Rolle lässt sich nach Stärken vergeben, sodass Energie ins Spiel kommt.

  • Zusammenarbeit: Unterschiedliche Stärken bewusst kombinieren, z. B. die analytische mit der kreativen Perspektive.

  • Führung & Entwicklung: Führungskräfte können Mitarbeitende ermutigen, ihre Stärken regelmäßig einzusetzen und Neues auszuprobieren.

  • Kultur sichtbar machen: Stärkenprofile auf einem Whiteboard, im Intranet oder in digitalen Tools erinnern daran, welche Vielfalt im Team steckt.

Stärkenbasiertes Arbeiten heißt nicht, dass niemand mehr an Schwächen arbeitet. Es bedeutet vielmehr, die vorhandenen Ressourcen so einzusetzen, dass Energie und Sinn entstehen.

Herausforderungen und Stolperfallen

Natürlich gibt es auch Risiken. Manche Menschen fühlen sich durch „Stärkenprofile“ schnell festgelegt: „Du bist doch die Kreative, also mach das mal.“ Damit Stärkenarbeit nicht zu Schubladendenken führt, braucht es Offenheit und die Bereitschaft, Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten.

Eine weitere Herausforderung: Stärken sind ungleich verteilt. Manche Tugenden sind im Team stark vertreten, andere weniger. Das ist normal – und kein Mangel. Wichtig ist, Unterschiede wertzuschätzen und gemeinsam zu überlegen, wie ein Ausgleich entstehen kann.

Und jetzt? Teamwork mit Fokus auf Stärken

Stärkenarbeit ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Es reicht, mit einem kleinen Experiment zu starten: eine Reflexionsrunde im nächsten Meeting, ein paar Minuten für gegenseitiges Feedback, oder die Einladung, den VIA-Test auszuprobieren.

Das Entscheidende ist, ins Gespräch zu kommen und die Vielfalt sichtbar zu machen. Denn Teams, die ihre Stärken kennen und leben, sind nicht nur produktiver – sie arbeiten auch menschlicher und mit mehr Freude zusammen.